Bäume für Generationen

Alte Bäume sind weit mehr als einfach nur Schattenspender. Sie haben im Leben unserer Vorfahren eine besondere Rolle gespielt, waren Göttern geweiht und mit Feen und Geistern belebt. Im Schatten alter Linden wurde zu Gericht gesessen und heute stehen wir bewundernd vor alten Baumpersönlichkeiten, die Jahrhunderte überdauert haben. Foto: CMA
Die Dorflinde hat es sogar ins Lexikon gebracht. Sachlich wird in Meyers Konversationslexikon definiert: "Dorflinde, eine vielerorts auch in Städten und Märkten als Mittelpunkt des Rechts- und Gemeinschaftslebens, auf dem Gerichtsplatz oder der dörflichen Versammlungs- und Feststätte gepflanzte und gepflegte Linde". Aber auch andere Bäume stehen im Zentrum eines Dorfes, eines Stadtteils oder eines Kirchplatzes. Mal ist es eine Kastanie, dann wieder ein mächtiger Walnussbaum, eine Eiche oder eine Ulme. Es ist einfach schön, im Schatten eines großen Baumes zu sitzen, Kühle, Duft und Atmosphäre zu genießen. Unsere Vorfahren sahen mehr darin und wahrscheinlich schwingen auch bei uns Relikte alter Mythen mit, wenn wir bewundernd vor alten Bäumen auf Angern und Plätzen stehen.
1.000 Jahre alt soll die Linde in Effeltrich bei Forchheim sein, weit über 1.000 Jahre werden der Tanz- und Gerichtslinde in Schenklengsfeld bei Bad Hersfeld nachgesagt. Ob das Alter wirklich stimmt oder nicht, fest steht, der Brauch, Siedlungen gleichsam in den Schutz eines Baumes zu stellen, ist uralt. Germanen, Slawen und Kelten pflanzten Bäume, die als Hüter über Weiler und Wohnstätten wachten. Den Göttern geweiht und mit Feen und Geistern belebt, sollten die Pflanzenriesen Einfluss auf das Schicksal nehmen und Denken und Fühlen positiv beeinflussen. Lebendig und Jahrhunderte überdauernd überragten die Bäume die Menschen an Größe und Alter. So stellen sie Verbindungen her zwischen den Generationen.
Besondere Bedeutung kommt der Linde (Tilia cordata) zu. Dem Volksglauben nach brachte der Baum der germanischen Göttin Freya die Wahrheit ans Licht. Daher wurde in ihrem Schatten beraten und zu Gericht gesessen. Das Christentum machte aus den Freyalinden Marienlinden. Auch in ihrem Namen mahnten die herzförmigen Blätter zu Aufrichtigkeit. Das lichte Grün wirkte entspannend, besänftigend und innerlich stärkend auf Richter und streitende Parteien. Meist waren es milde Urteile, die beispielsweise unter der Gerichtslinde im hessischen Laudenbach oder unter der Linde von Heiden gesprochen wurden. Mittelalterliche Urkunden belegen noch heute das alte "judicum sub tilia", das "Gericht unter der Linde". Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts soll es in einigen Gegenden praktiziert worden sein.
Ging es unter den Gerichtsbäumen ernst zu, herrschte unter den Tanzbäumen eine Atmosphäre der Heiterkeit. Goethe beschreibt das in seinem Faust: "Schon um die Linde war es voll und alles tanzte schon wie toll!" Meist wurden die untersten Äste der Tanzbäume breit ausladend gezogen, damit auf ihnen die Tanzplattform Platz fand oder zumindest ein paar Bretter, um die Musiker über die Tanzenden zu erheben. Dass nicht nur Linden als Tanzbäume gezogen wurden, lässt sich noch heute in Hitzacker an der Elbe erleben. Dort kann man die Reste einer der seltenen Tanz-Kastanien bewundern, die auf das für Kastanien erstaunliche Alter von gut 350 Jahre geschätzt wird. Auch ihre Äste streben in etwa 1 m Höhe waagerecht aus der Mitte weg, um dann plötzlich senkrecht in die Höhe zu wachsen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde in ihr getanzt.
Es ist auch heute noch ein besonderes Gefühl, sich mit den Nachbarn zu verabreden und gemeinsam den Baum für die kommenden Generationen zu pflanzen. Gerade junge Familien interessieren sich immer mehr für die grüne Umgebung ihres Wohnorts. Nicht nur der eigene Garten in der frisch bezogenen Reihenhaussiedlung, sondern auch das gemeinsame Grün an der Straße oder am Kindergarten bringt die Nachbarn zusammen. Auch für Gemeinden und Stadtteile, für Sportvereine, Kirchengemeinden und sogar für Unternehmen kann der gemeinsam gepflanzte Baum zum Symbol für Zusammenhalt und Zukunft werden. Feiern rund um die noch junge Linde, Kastanie oder Walnuss lässt sich allemal und dringliche Fragen darf man in ihrem Schatten natürlich auch beraten. Dass die Atmosphäre des Baumes die Entscheidungen weise ausfallen lässt, wenn in Generationen gedacht wird, steht wohl außer Frage. (Quelle: CMA)
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